Die Botschaft, die ein Plakat vermitteln möchte, ist in der Regel auf einen Blick erfassbar — nicht umsonst heißt das von Plakat abgeleitete Adjektiv „plakativ“. Auch wer Absender:in der Botschaft ist, lässt sich normalerweise schnell erkennen, meist durch ein gut platziertes Logo. Aber immer wieder gibt es auch Werbekampagnen, bei denen man erst mal überlegen muss, wofür da gerade geworben wird.
So begegnete mir auf dem Weg zur Agentur dieses große, gelbe Plakat. „Willkommen in THE LÄND“ stand darauf in schwarzen Lettern. Klar, dass ich schon aus rein beruflicher Neugier fasziniert war. Kein Logo, keine Erklärung, was The Länd sein soll, keine Bilder, einfach nur ein Claim. Und unten ganz klein eine Internetseite plus QR-Code. Beim Weiterradeln überlegte ich: Entweder, das war irgendeine Freikirche, die da auf moderne Weise das gelobte Land bewarb, oder es war Baden-Württemberg. Oder doch eine neue Serie?
Und schwups waren die Plakate natürlich auch Gesprächsthema in der Mittagspause. Danach wurde gegoogelt und das Geheimnis gelüftet: Tatsächlich steht die Landesregierung hinter dem Slogan – aus dem Ländle wird the Länd. Im Falle meiner Kolleg:innen und mir ist das Konzept der Agenturen Jung von Matt Neckar und Milla & Partner also bestens aufgegangen. Das Plakat hat unsere Neugier geweckt, wir haben darüber mit anderen gesprochen und wir haben aktiv im Internet nach des Rätsels Lösung gesucht.
Hier liegt die Stärke von rätselhafter Werbung: Sie hat das Potential, Rezipient:innen zu aktivieren. Weil die Botschaft nicht klar und deutlich kommuniziert wird, muss ich mich anstrengen, sie zu entschlüsseln. Ich beginne, nachzudenken. Im Idealfall fange ich sogar an, zu recherchieren. Und für Werbetreibende noch wünschenswerter: ich fange an, über die Kampagne zu kommunizieren. Die aktive Auseinandersetzung mit einer Werbekampagne erhöht ihren Erinnerungswert um ein Vielfaches. Das, womit ich mich beschäftige, bleibt mir im Gedächtnis. Wenn die aktive Beschäftigung mit der Kampagne soweit geht, dass Rezipient:innen sich in den sozialen Medien darüber austauschen, erschließen sich neue Multiplikator:innen und Kanäle – die Kampagne geht viral.
Zurück ins Länd: Ein Plakat, auf dem die Botschaft „Baden-Württemberg – schöne Landschaft, kulinarische Highlights, Erfindergeist und Spitzenforschung“ stehen würde, bebildert mit einem Motiv, das Wald, Drohne und Mädchen mit Schwarzwälder Bollenhut zeigt, hätte mich wahrscheinlich kalt gelassen. Und das liegt nicht daran, dass ich diese Attribute uninteressant finde, sondern daran, dass ich sie schon zu oft gesehen habe. Es ist das Übliche, was Regionen aus dem Hut ziehen, wenn sie sich als attraktiv und zukunftsgewandt darstellen wollen – wenn auch mit lokalen Abweichungen wie dem Bollenhut.
So aber habe ich mir den Imagefilm “Willkommen in THE LÄND”, der mittlerweile auf der Kampagnen-Website zu finden ist, angesehen. Weil ich wissen wollte, was “the Länd” sein soll. Der Film vermittelt in etwa diese Botschaft: Baden-Württemberg ist ein Land mit schöner Landschaft, kulinarischen Highlights, Erfindergeist und Spitzenforschung. Die Botschaft ist bei mir angekommen. Werbung ist immer wieder das alte Spiel: um aufzufallen, müssen übliche Muster durchbrochen werden.
Hat die neue baden-württembergische Imagekampagne bei meinen Kolleg:innen und mir nur funktioniert, weil wir als Mitarbeitende einer Werbeagentur ein besonderes Interesse für ungewöhnliche Werbestrategien haben? Nein, denn auch in den klassischen sowie den sozialen Medien hat die Kampagne jede Menge Aufmerksamkeit generiert.
Allerdings beschränkt sich die Aufmerksamkeit bislang vor allem auf Deutschland. Wie weitere Schritte der Kampagne aussehen werden, die das Ausland mit dem Ziel der Anwerbung von Fachkräften anvisieren sollen, bleibt spannend. Hier ist ein rätselhafter Ansatz vielleicht eher nicht ratsam.
Die Zielgruppe ist wie immer ein wichtiger Punkt: Rätselhafte Werbung funktioniert natürlich nur bei denen, die die Rätsel auch als solche verstehen und lösen können. Ein Wortspiel, das ein wenig Um-die-Ecke-Denken erfordert, versteht nur, wer in der jeweiligen Sprache entsprechend sprachgewandt ist. Eine Anspielung versteht nur, wer den jeweiligen Kontext kennt. Die Abweichung vom Klischee goutiert nur, wer das Klischee als solches verinnerlicht hat.
Damit kann man bei einer spitzen Zielgruppe bewusst arbeiten: Wenn ich z.B. nur IT-Fachkräfte ansprechen will, kann ich Programmiersprachen-Insider bringen, die anderen ein Rätsel bleiben. Möchte ich alle ansprechen, sollte das Rätsel oder die Irritation eher einen allgemeinen Nerv treffen.
Vor allem Kampagnen, die darauf bauen, viral zu gehen, geben ein Stück ihrer Deutungshoheit ab. Zwar hat The Länd in kurzer Zeit sehr viel Aufmerksamkeit generiert – aber wird die Botschaft, dass das Ländle attraktiv und lässig ist, auch genauso weitergegeben? Nicht ganz. Die (sozialen) Medien applaudieren nicht nur: Vielen gefällt der Slogan auch nicht, das hohe Budget stößt auf Unverständnis, andere stellen die Sinnhaftigkeit regionaler Imagekampagnen komplett in Frage. Aber auch sie tragen dazu bei, dass mehr Menschen überhaupt auf die Kampagne aufmerksam werden.
Wer Rätsel stellt, sollte sie auch auflösen. Oft werden die Lösungen direkt mitgeliefert und man entdeckt sie, wenn man genauer hinschaut. Beispielsweise das Schwarzweiß-Foto mit einer weinenden, winkenden Frau am Bahnhof. Wofür wird da geworben? Bei genauem Hinsehen entdeckt man oben in der Ecke das kleine Logo: Spontex. Schaut man nun nochmals intensiver auf das Foto, entdeckt man, dass die Frau statt eines Taschentuchs einen Schwamm in die Luft hält.
Andere Kampagnen versuchen, Neugierige via QR-Code auf eine Website zu locken, auf der das Rätsel gelöst wird. So auch bei The Länd. Hier gab es zudem eine Pressekonferenz, bei der Winfried Kretschmann die Kampagne erläuterte. Und diese Woche hängen auch Plakate, die mehr Erklärungen liefern.
Fazit? Rätselhafte Werbung kann sehr gut funktionieren. Aber es gehört natürlich auch eine Portion Mut dazu, seine Botschaft auf diese Weise zu verbreiten. Und ein gutes Konzept.
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